09.02.2024 ● OYA
Können wir mit Inklusion den Fachkräftemangel reduzieren?
Die Bevölkerung altert, immer mehr Unternehmen können offene Stellen nicht besetzen – der Fachkräftemangel bedroht die deutsche Wirtschaft. Viele Unternehmen hoffen auf Unterstützung aus dem Ausland, dabei schlummern hierzulande noch ungenutzte Potenziale. Das Zauberwort heißt Inklusion.
In Deutschland konnten Unternehmen zuletzt leider 770.000 offene Stellen nicht besetzen Besonders dramatisch ist die Lage im sogenannten MINT-Bereich, der Bereich in den Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik: Hier fehlen fast 300.000 Arbeitskräfte. Vor allem in ländlichen Regionen, die weniger gut angebunden sind, haben Unternehmen große Schwierigkeiten, Talente anzuwerben.
Wie kann Inklusion gegen den Fachkräftemangel helfen?
Menschen mit Behinderungen könnten die angespannte Situation etwas entlasten. Bundesweit gab es im Jahr 2021 rund 3,1 Millionen Schwerbehinderte im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre). Leider werden nicht alle in den Arbeitsmarkt integriert: Im Oktober 2023 waren rund 165.700 Menschen mit Behinderungen arbeitslos gemeldet. Hinzu kommt: Viele Menschen mit Behinderungen sind gut ausgebildet. Das Ergebnis: Arbeitslose Menschen mit Behinderungen sind im Durchschnitt besser qualifiziert als andere Arbeitslose. Demnach hatten 54 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Bei den Arbeitslosen ohne Behinderung waren es nur 43 Prozent. (Quelle:www.iwkoeln.de)
In der Inklusion schlummert noch ein erhebliches Potenzial für den Arbeitsmarkt. Arbeitslose mit Schwerbehinderung sind häufig gut qualifiziert. Trotzdem arbeiten Menschen mit Beeinträchtigungen häufiger in Teilzeit, seltener im erlernten Beruf und häufiger in Aushilfjobs.
Das geht aus einer Analyse hervor, die Inklusion als Vorteil beschreibt. Das Arbeitsleben von Menschen mit Beeinträchtigungen unterscheide sich teilweise deutlich von dem der anderen Erwerbstätigen. So hätten sie etwa von der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt nicht so stark einen Vorteil gemacht: Der Anteil der Beschäftigten mit Beeinträchtigung stieg zwischen 2014 und 2018 nur geringfügig von 51,4 auf 51,7 Prozent. Bei den Erwerbstätigen insgesamt stieg er deutlicher von 70,7 auf 72,8 Prozent. (Quelle:www.iwkoeln.de)
An mangelndem Willen von der Seite der Betroffenen liegt das nicht unbedingt. Die Studie zeigt für das Jahr 2018, dass ca. ein Viertel, der nicht erwerbstätigen Menschen mit einer Schwerbehinderung oder erheblichen Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit nicht ausschließt, in Zukunft zu arbeiten.
Eine Anstellung könne sich auch für die Arbeitgeber lohnen, denn Daten der Bundesagentur für Arbeit zufolge sind Arbeitslose mit Schwerbehinderung tendenziell besser qualifiziert als Arbeitslose ohne Schwerbehinderung. Während 56 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderung im Jahr 2020 einen Berufs- oder Hochschulabschluss hatten, lag die Quote bei Arbeitslosen ohne Schwerbehinderung nur bei 46 Prozent. Unternehmen könnten so also die richtigen Fachkräfte in Engpassberufen finden – und Menschen mit Schwerbehinderung den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt.
Wie kann Inklusion gefördert werden?
Um die Zusammenarbeit zu erleichtern, gibt es einige Strategien und Instrumente. Wichtig seien etwa ein unterstützendes Betriebsklima und für mobilitätseingeschränkte Menschen die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Arbeitgeber sollten Menschen mit Beeinträchtigungen außerdem aktiv ansprechen, beispielsweise in Stellenausschreibungen. Zudem gebe es Informationsangebote, die Beispiele gelungener Inklusion aufzeigen und Unternehmen dabei helfen, attraktiver für Menschen mit Beeinträchtigung zu werden.
Viele Unternehmen, die sich auf die Förderung von Inklusion eingelassen haben, berichten sehr viel Positives. Die Menschen sind sehr motiviert und es gäbe keinerlei Nachteile für Unternehmen.
Die Vorteile von Inklusion am Arbeitsplatz
Denn schon die Umstellung des Unternehmens oder einer seiner Abteilungen auf die neuen Mitarbeiter selbst kann sich deutlich positiv auf die Unternehmenskultur auswirken. Sie bricht alte Verhaltensmuster auf und erfordert eine Umstellung auf eine offene, vorurteilsfreie Fehlerkultur. Bei Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist es leichter zu erkennen, dass sie in mancherlei Hinsicht nicht „perfekt funktionieren“ können. Arbeitsabläufe werden angepasst, Aufteilungen mit dem Ziel geändert, dass der Mitarbeiter sein Potenzial voll ausschöpfen kann. Das freut den Arbeitgeber, den Mitarbeiter und später auch die Kollegen. Denn ein solches positives Beispiel kann dabei helfen, eigene Schwächen zu erkennen – und konstruktiv mit ihnen umzugehen. So können auch die Abläufe für nicht-behinderte Mitarbeiter verbessert werden.
Gleichzeitig wird hier aktiv Selbständigkeit gefördert. Denn dieser Prozess kann nicht komplett von einer Führungskraft vorgegeben werden. Ist die körperliche Belastung wegen eines Bandscheibenvorfalls vielleicht doch etwas zu hoch? Dann kann ein Kollege einspringen. Dafür wird diesem dann vielleicht eine Verwaltungstätigkeit abgenommen, die er noch nie mochte. Dadurch kommt es zu einer weiteren Normalisierung: Der „behinderte“ Angestellte nimmt dem „gesunden“ eine Tätigkeit ab, die er nicht gut beherrscht. Ein Tausch auf Augenhöhe. So gewinnen alle und lernen gleichzeitig, wie aktiv gelebte Solidarität zum besten Nutzen für alle führen kann. Dazu gibt es ein soziales Arbeitsumfeld, aus dem man Wertschätzung erfährt. Das kann jeder gut gebrauchen.
Für Fachkräfte, die ihre ursprüngliche Tätigkeit aufgrund ihrer Einschränkungen gar nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt ausführen können, kann dies auch eine Komplettumstellung bedeuten. Häufig ist ein ehemaliger Facharbeiter, der den Beruf selbst Jahre oder Jahrzehnte ausgeübt hat, mit einer entsprechenden Umschulung ein ausgezeichneter Verwaltungsangestellter, der viel näher an den Kollegen dran ist, als es eine Nachwuchskraft frisch aus der Ausbildung sein könnte.
Zu guter Letzt ist da auch noch die Außenwirkung. Sich bei geringstem Engagement schon eine große Weltretter-Plakette zu verleihen, fliegt schnell als Heuchelei auf. Doch wer konsequent und nachhaltig behinderte Menschen in den eigenen Betrieb integriert, gewinnt auch in der Öffentlichkeit Sympathien. Eine solche positive Unternehmenskultur zieht auch nicht-behinderte Fachkräfte an.
Welche Schwierigkeiten gibt es mit der Inklusion am Arbeitsplatz?
Die größte Schwierigkeit bei der Inklusion von Fachkräften mit Behinderung ist die Auswahl der ersten Kandidaten. Doch es gibt bundesweit Interessenvertretungen, Verbände und andere Organisationen für und von behinderten Menschen, auch die Gewerkschaften sind dabei oft recht engagiert. Aufgeschlossene Unternehmer sollten einfach einen ersten Kontakt herstellen und sich beraten lassen, wie die Suche funktionieren könnte. Es gibt zahlreiche Helfer und Möglichkeiten, wenn ein Unternehmen offen dafür ist.
Dann folgt ein Auswahlprozess: Menschen mit geistigen Behinderungen werden leider oft ausgeklammert – sie sind für viele Tätigkeiten, gerade in der Produktion, nicht geeignet. Hier geht es auch um den Schutz der Menschen selbst. Viele Maschinen können Menschen schwer verletzen. Auch darüber sollte mit entsprechenden Anlaufstellen gesprochen werden – sie kennen die Menschen, die sie betreuen, meist sehr gut und wissen, wofür sie in Frage kommen und wofür nicht.
Zudem kann auch darüber nachgedacht werden, Ausbildungsplätze für Facharbeiter mit körperlichen Einschränkungen anzubieten. Das sollte möglichst gemeinsam mit anderen Unternehmen geschehen – die Hürden können teils recht hoch sein. Da lohnt es sich, den Aufwand nur einmal betreiben zu müssen und von einem gemeinsamen Wissensschatz zu zehren.
[GA1]Quelle einfügen bei konkreter Zahl
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